Am 20.10. feierte die Stadt Bad Ems gemeinsam mit dem Rhein-Lahn-Kreis und der Verbandsgemeinde Bad Ems - Nassau eine Gedenkstunde für Adolf Reichwein, Widerstandskämpfer im nationalsozialistischen Deutschen Reich und Sohn unserer Stadt. Die Verantstaltung war überdurchschnittlich gut besucht, sodass weitere Sitzmöglichkeiten organisiert werden mussten.
Zu den Sprechern zählten unter anderem der Landrat Frank Puchtler und der Historiker Dr. Amlung. Für die Stadt Bad Ems habe ich ein Grußwort gesprochen, welches im Anschluss an diesen Beitrag zu finden ist. Die Kreismusikschule hat zwischen den Wortbeiträgen den musikalischen Rahmen in würdiger Weise geschaffen. Herr Dr. Amlung berichtete ausführlich über das Leben und Wirken Reichweins. Landrat Puchtler verlas den letzten Brief Reichweins an seine Tochter. Diesen verfasste Reichwein wenige Tage vor seiner Hinrichtung, die am 20. Oktober 1944 in Berlin-Plötzensee vollzogen wurden. Die Zeilen des Abschiedsbriefes berührten die Zuhörer merklich und schafften einen bewegenden Abschluss dieser gelungenen Veranstaltung.
*** Grußwort ***
Wir erinnern heute an Adolf Reichwein.
Warum tun wir das in dieser Form?
Weil er aus Bad Ems stammte? Hier wurde er geboren, hier war sein Vater
Lehrer – darüber wird uns Herr Dr. Amlung berichten. Aber die Familie
verließ Bad Ems bereits, als Reichwein noch ein kleines Kind war. So
wird er wenige Erinnerungen an Bad Ems gehabt haben, weniges wird ihn
mit seiner Geburtsstadt verbunden haben. Gewiss hat er in den
Hinterhöfen der Bleichstraße gespielt, hat vielleicht im Winter, wie
viele andere Kinder damals, die Alte Kemmenauer Straße als Rodelbahn
benutzt, hat vielleicht am Fenster des Hauses Bleichstraße Nr. 12 dem
Vater nachgeschaut, wenn der morgens zur Stein-Schule gegangen ist. Die
war damals im heutigen Alten Rathaus. Warum erinnern wir in Bad Ems an
Adolf Reichwein?
Ich denke, wir dürfen dankbar sein, dass wir den
Namen unserer Stadt verbinden können mit einem Menschen, der als
aufrechter Demokrat den Nationalsozialisten die Stirn geboten und dafür
sein Leben gegeben hat.
Reichwein war gewiss kein Held. Sicher hätte
er sich dagegen verwehrt, so bezeichnet zu werden. Er hatte eine
Grundhaltung, die schon sein pädagogisches Wirken prägte.
Er wollte
junge Menschen im Geist der Freiheit zur Verantwortung erziehen. Und er
hat diese Werte auch dann vertreten, als das Regime sie unterdrückte.
Damit wird er uns allen zum Vorbild. Erinnern wir uns an jene, die
damals auch unter einem Terrorregime zu ihrer Überzeugung standen - und
dafür mit dem Leben bezahlten. Es ist unsere Aufgabe, für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten.
Anders als
Adolf Reichwein können wir das gefahrlos tun. Aber wir müssen es auch
tun, denn Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit.
Wir müssen
sie leben, indem wir demokratische Parteien wählen, indem wir Populisten
entgegentreten, mit Argumenten und einem klaren Bekenntnis. Indem wir
auch im Zeitalter von Twitter klarmachen: gute Lösungen und Antworten
brauchen mehr als zwei Zeilen. Sie brauchen Tiefgang und den Nährboden
des freien Austauschs von Meinungen.
In diesen Wochen haben sich
junge Menschen, Schüler des Goethe-Gymnasiums wie auch der Realschule
plus Bad Ems - Nassau, auf unterschiedliche Art mit dem Schicksal von
Bad Emser Juden beschäftigt. Dadurch wurde der Holocaust ein Stück weit
aus der Anonymität geholt.
An die Stelle einer schrecklichen Zahl – 6
Millionen Opfer – traten Namen und Orte, Namen von Bad Emsern, die
sterben mussten, nur, weil sie jüdischen Glaubens waren, und Orte, an
denen sie einst als ganz normale Bad Emser gelebt und gearbeitet hatten,
als Kaufleute oder Handwerker, als Eltern oder Kinder. Ich bin
überzeugt: Die jungen Menschen, die Stolpersteine poliert und sich mit
dem Schicksal der Bad Emser Juden beschäftigt haben, die haben
verstanden, wie wichtig Freiheit und Toleranz sind. Und wir verstehen,
wie wichtig Erinnerungskultur ist.
Es ist wichtig, den Schicksalsweg
zu verfolgen, den Menschen aus unserer Mitte gehen mussten von der Bad
Emser Friedrichstraße oder der Römerstraße zu den Vernichtungslagern der
Nazis. Es ist wichtig, den Weg eines aufrechten Menschen zu verfolgen,
von seinem Geburtsort Bad Ems bis Berlin Plötzensee. Es ist gut und
heute vielleicht wichtiger denn je, daran zu erinnern, wofür Adolf
Reichwein gestanden hat und wofür er gestorben ist.
Bekennen wir uns
zu seinen, zu unseren Werten, im Alltag und vor allem auch dann, wenn
es einmal nicht so leichtfällt. Das sind wir jenen schuldig, die es uns
unter ganz anderen Bedingungen vorgelebt haben. Ich wünsche uns eine
gute und informative Veranstaltung und danke Herrn Dr. Ulllrich Amlung
für seinen Beitrag dazu.